Es gibt keine Wirksamkeitsstudien

Es gibt zwar Untersuchungen, wonach sich das Kaufverhalten bestimmter Produkte durch Werbeverbote verschoben hat bzw. gesunken ist. Allerdings sagt das Kaufverhalten noch nichts über die Übergewichtsentwicklung aus, die als Zielgröße für die Maßnahme „Werberestriktionen“ genannt wird.  

Nach einer kürzlich von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) in Auftrag gegebenen systematischen Überprüfung und Metaanalyse von Boyland et al (Association of Food and Nonalcoholic Beverage Marketing With Children and Adolescents’ Eating Behaviors and Health, abgerufen unter https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/35499839/) wurde zwar ein signifikanter Unterschied bei der Nahrungsaufnahme und der Nahrungsmittelpräferenz festgestellt, allerdings mit einer sehr geringen Beweissicherheit. Außerdem handelt es sich bei den Studien meistens um experimentelle Laborstudie. Dies bedeutet, dass im Labor Unterschiede gefunden werden können, die sich nicht eins zu eins auf das reale Leben übertragen lassen, da es viele andere Faktoren gibt, die für den Lebensmittelkonsum (und letztlich den Ernährungszustand) relevanter sind als das Marketing, wie z. B. Gewohnheiten, Preis, Zugänglichkeit und Wissen. 

Außerdem gibt es keine belastbaren wissenschaftlichen Untersuchungen zur Wirksamkeit der Werbebeschränkungen auf die Gesamternährung und die Entwicklung von kindlichem Übergewicht. Zu diesem Ergebnis kommt die wissenschaftliche Behörde des BMEL, nämlich das Max Rubner-Institut (MRI), das letztes Jahr laufende und geplante nationale Werberegulierungsmaßnahmen in 17 europäischen Ländern sowie entsprechende Evaluations- und Wirksamkeitsstudien analysiert hat. Das Fazit: Im Rahmen der Recherche konnten keine belastbaren Wirksamkeitsstudien identifiziert werden: https://www.openagrar.de/receive/openagrar_mods_00078172  

Dass es trotzdem Forderungen nach Werberestriktionen seitens NGOs oder Kinderärzte gibt, zeigt, dass hier Symbolpolitik auf Basis sehr schwacher wissenschaftlicher Evidenz gemacht wird. Passend zu dem Ergebnis des Max Rubner-Instituts, hat auch ein weiterer, im Auftrag der WHO erstellte systematische Übersichtsartikel von Boyland et al (Systematic review of the effect of policies to restrict the marketing of foods and non-alcoholic beverages to which children are exposed, abgerufen unter https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/35384238/) keine Studien identifizieren können, die die Auswirkungen von Werberestriktionen auf die aus unserer Sicht entscheidenden Endpunkte Körpergewicht, BMI, Adipositas oder nichtübertragbare Krankheiten untersucht haben. Dass die Autoren dieser Studie sich trotzdem für Werberestriktionen aussprechen, ist ihre Interpretation der Ergebnisse. Wir sind der Meinung, dass Eingriffe in den Markt nur dann erfolgen dürfen, wenn sie verhältnismäßig sind und die Vertrauenswürdigkeit der Evidenz in Bezug auf die entscheidenden Endpunkte (Körpergewicht, BMI, nichtübertragbare Krankheiten) hoch ist. Ob das von Bundesminister Özdemir vorgeschlagene Werbungsverbot seinen Zweck erfüllen wird, lässt sich auf Basis der bisherigen Studienlage kaum beantworten. Das ist die Einschätzung von Cochrane Deutschland (https://www.cochrane.de/news/werbeverbot-fuer-junkfood-was-sagt-die-evidenz 

 

Beispiel Großbritannien – seit 15 Jahren Werbeverbote, aber Übergewicht bleibt gleich 

In Großbritannien beispielsweise gibt es bereits seit mehr als 15 Jahren Werbeverbote und die Übergewichts- und Adipositasraten sind dadurch nicht gesunken. Daten aus dem Jahr 2021/2022 des National Child Measurement Programme zeigen beispielsweise, dass fast 38 Prozent der zehn- bis elfjährigen Kinder übergewichtig sind, 23 Prozent davon sogar adipös.

In Deutschland sind übrigens laut KiGGS-Welle 2 ca. 15 Prozent der Drei- bis 17-jährigen übergewichtig und davon knapp sechs Prozent adipös. Das britische „Impact Assessment“ aus 2021 zeigt zudem, dass die unmittelbar durch Werberegulierungen zu erwartende Kalorienreduktion bei ca. zwei Kilokalorien pro Tag und Kind liegt – also weniger als eine Schokolinse pro Tag (https://assets.publishing.service.gov.uk/government/uploads/system/uploads/attachment_data/file/996232/impact-assessment-hfss-advertising.pdf