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Werbeverbote – (K)ein wirksamer Weg zu gesünderer Ernährung?

Eine Person sticht durch Übergewicht aus der Menge heraus

 

Wir sind eine übergewichtige Gesellschaft und die Politik sieht die Zeit zum Handeln gekommen! U.a. wurde Zucker zum Schuldigen erklärt: Der Konsum soll sinken, damit die Fettleibigkeit abnimmt. Schauen wir uns die Zahlen an: Es ist unzweifelhaft, dass das Übergewicht unserer Bevölkerung stetig zunimmt.

Bezogen auf die erwachsene Bevölkerung waren laut Eurostat[1]:
(1999) 56,0 Prozent der Männer und 40,0 Prozent der Frauen in Deutschland,
(2019) 60,7 Prozent der Männer und 46,5 Prozent der Frauen in Deutschland übergewichtig.

Fakt ist also, in den zwei vergangenen Dekaden wurden Männer immer übergewichtiger und Frauen noch mehr. Im Raum steht die Behauptung, dass unser Zuckerkonsum etwas damit zu tun haben könnte.

 

Übergewicht in Deutschland steigt sehr viel stärker als Zuckerkonsum

Das Übergewicht steigt, das Angebot der Süßwarenindustrie hat sich in der gleichen Zeit aber kaum verändert. Das Inlandsangebot der Süßwarenindustrie lag nach Angaben des BDSI 2002 bei 2,61 Mio. t. und 8,86 Mrd. Euro.[2] Im Jahr 2015 bei 2,64 Mio. t. und 8,86 Mrd. Euro.[3] Im Jahr 2022 waren es 2,7 Mio. t. und 9 Mrd. Euro.[4] In der gleichen Zeit wurden zusätzlich 7% der Männer übergewichtig, und 16% der Frauen. Eine Parallele zwischen höherem Konsum von süßen Produkten und dem Anstieg von Übergewicht lässt sich in Deutschland nicht feststellen.

Aber nehmen wir mal an, dass selbst minimale, „grenzwertige“ Vorteile in Summe einen relevanten Beitrag zu Zielerreichung ergeben. „Marginal gains“ heißt dieses Konzept und bei der Tour de France soll es Wunder wirken. Dann, vielleicht könnten Werbeverbote in Bezug auf Nahrungsmittel ja doch einen Beitrag leisten?

 

Die Wirksamkeit von Zucker-Werbeverboten: unbewiesen

In einer Studie des Max Rubner-Instituts (MRI) wurden Werbeverbote aus 17 Ländern Europas ins Auge gefasst und nach wissenschaftlichen Wirkungsnachweisen untersucht – es wurden keine gefunden.[5] Dabei kann nicht gesagt werden, dass nicht nach Wirkungsnachweisen gesucht wurde!

Schauen wir uns deshalb ein paar Zahlen genauer an, die im Zusammenhang mit Werbeverboten erhoben wurden: Eine Studie von 2017 hat die Wirksamkeit von unterschiedlichen staatlichen Maßnahmen bei der Tabakvermeidung untersucht. Die stärkste Wirkung zeigten dabei Preiserhöhungen, Rauchverbote, und Informations- sowie Medienkampagnen. Weit abgeschlagen fungieren Werbeverbote. Aber natürlich ist Tabakkonsum etwas Anderes als Zuckerkonsum.

Zu relevanteren Studien zählt eine groß angelegte Studie von 2019 im Londoner Verkehrsnetz, in dem die Werbung für Produkte mit hohem Fett-, Zucker- und Salzgehalt beschränkt wurde. Sie umfasst über 5 Millionen Lebensmittel- und Getränkeeinkäufe von 1.970 Haushalten. Das Londoner Testgebiet wurde mit einer Region in Nordengland verglichen, wo die Beschränkungen nicht galten. Beide Gruppen wiesen ähnliche Haushaltsmerkmale auf.

Das Ergebnis: Im Londoner Interventionsgebiet wurden im Vergleich zur Entwicklung in Nordengland trotz Werbebeschränkung mehr zuckerhaltige Limonaden und süße Snacks verzehrt als der Vergleich nahelegen würde. Der Konsum von Schokoladen und Süßwaren hat sich in der Studie mit und ohne Werbung fast gleich weiterentwickelt. Das Werbeverbot hatte keine relevante Wirkung entfaltet.[6]

 

Bewegung als relevantes Mittel gegen kindliches Übergewicht

Im Vereinigten Königreich besteht eine längere Erfahrung mit Werbeverboten und daher auch eine längere Forschungshistorie. Die Zahlen aus dem Vereinigten Königreich zeigen, dass Werbeverbote für Süßwaren (inklusive Produkten mit hohem Fett- und Salzgehalt) selbst über einen Zeitraum von 10 Jahren keine signifikante Wirkung entfalten konnten. Seit 2009 gilt dort ein TV-Werbeverbot für diese Produkte für auf Kinder ausgerichtete TV-Werbung. Es gelang, den Werbedruck auf die Kinder um 37 % und die Werbeausgaben um 41 % zu reduzieren.[7]

Das Ergebnis: Vor und nach 10 Jahren Werbeverbot war Adipositas bei Kindern im Alter von 5 Jahren identisch bis 9,9 %. Kurz danach zeigte eine Studie, was Fettleibigkeit wirklich fördert: Im Lockdown 2020-2021 stieg Adipositas innerhalb eines Jahres um fast 50 % auf 14,4%[8], um nach den harten Lockdowns direkt wieder auf 10,1% abzusinken.[9]

 

Die richtigen Hebel bewegen

Werbung wirkt – als Mittel im Wettbewerb innerhalb von relevanten Märkten, bzw. Warengruppen. Ihr Einfluss auf die originären Bedürfnisse und Interessen von Menschen ist überschätzt: Wenn wir Adipositas von Kindern und Erwachsenen ernsthaft bekämpfen wollen, dann müssen wir diese Aufgabe gemeinsam als Gesellschaft ernst nehmen. Denn es gibt Studien, die glasklar zeigen, was Übergewicht signifikant fördert.

Werbeverbote sind nicht die erste Lösung, sie können nur eine minimal unterstützende Begleitmaßnahme sein, damit wir keine Chance verpassen, Kinder vor Adipositas zu schützen. In Gesprächen mit Unternehmen der Süßwarenindustrie ist auf breiter Ebene zu hören, dass viele bereit sind, einen Beitrag zu dieser gemeinsamen Anstrengung zu leisten. Werbung als Sündenbock zu nutzen mag zwar populär sein, es dient aber nicht dem Ziel. Gefragt ist eine ernsthafte Anstrengung, die klug konzipiert, professionell umgesetzt und vor allem ein sinnvolles Gesamtpaket ist, das wichtigere Faktoren wie Bewegung, Förderung des Sports und Ernährungswissen in den Mittelpunkt stellt.

 

[1] Quelle: Bundeszentrale Politische Bildung, https://www.bpb.de/kurz-knapp/zahlen-und-fakten/soziale-situation-in-deutschland/516115/uebergewicht/

[2] Seidel, Lebensmittelmärkte, 2004

[3] https://www.bdsi.de/pressemeldungen/details/suesswarenindustrie-in-deutschland-2015-stabil-exportgeschaeft-leicht-ruecklaeufig/

[4] https://www.bdsi.de/pressemeldungen/details/suesswarenindustrie-blickt-auf-schwieriges-jahr-2022-zurueck/

[5] https://www.openagrar.de/rsc/viewer/openagrar_derivate_00045652/A2377.pdf?page=1

[6] In der Studie wird allerdings eine plötzliche Steigerung der Wirksamkeit von Werbung für Schokoladen und Süßigkeiten angenommen, die „natürlich“ nicht eingetreten ist: Werbung war nicht möglich. https://journals.plos.org/plosmedicine/article?id=10.1371/journal.pmed.1003915

[7] https://www.ofcom.org.uk/__data/assets/pdf_file/0024/31857/hfss-review-final.pdf

[8] https://digital.nhs.uk/news/2021/significant-increase-in-obesity-rates-among-primary-aged-children-latest-statistics-show,

[9] https://digital.nhs.uk/news/2022/national-child-measurement-programme-21-22

 

Autor: Gunnar Brune
Gründer der Unternehmensberatung TRICOLORE Marketing und der Storytelling-Agentur NARRATIVE IMPACT. Er leitet den Beirat des BESTSELLER Awards für die erfolgreichsten Neuprodukte im LEH und Jurymitglied des SWEETIE Awards für die Top-Süßwaren des Jahres. Weiterhin ist er als Autor zu Themen der Künstlichen Intelligenz, des Handels und des Marketings tätig.

 

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